Wir brechen vom Muyukuyuku Camp früh auf und sind nach 14km auf der Teer-Straße nach Lusaka. Was für ein Genuss! Ruhiges Dahingleiten statt ständiges Gerüttel. Aber halt – in Zambia scheint es Volkssport zu sein, „Speedramps“ zu bauen, also Betonhügel, die – wenn man sie in einem normalen PKW übersieht – schon mal eine Radaufhängung brechen können. Diese Speedramps gibt es fast immer beim Eingang zu größeren Dörfern, immer bei Schulen und manchmal bei Fußübergängen. Und hie und da auch komplett unmotiviert mitten auf freier Strecke. Also ist es empfehlenswert, nicht mehr als 80km/h zu fahren, um einer dieser mutmaßlich von der örtlichen Mechaniker-Lobby gesponserten Speedramp nicht zu übersehen!
Aber es gibt noch einige andere Gründe, warum das Autofahren in Zambia nicht unbedingt zu vergleichen ist mit dem Dahinrollen auf einer europäischen Autobahn.
Schlaglöcher
Schlaglöcher können immer und überall darauf lauern, ein Auto zu fressen. In Zambia sagt man, dass dir eine Giraffe auf Augenhöhe begegnet, wenn sie in einem Schlagloch steht. Vielleicht ein wenig übertrieben, aber trotzdem Warnung genug, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wo Schlaglöcher auftauchen könnten. Meist kündigen sich die erwachsenen Exemplare schon dadurch an, dass es vorher und nachher Sandspuren auf der Straße gibt, da die meisten Autos gleich in den Straßengraben fahren, um sie zu umgehen. Entgegenkommende LKW nutzen meist die gesamte Breite der Fahrbahn, um den Kratern auszuweichen und kümmern sich herzlich wenig um den Gegenverkehr, außer es ist ein noch größerer LKW…
Andere Autofahrer
Es wäre interessant zu erfahren, was Fahrschullehrer in diesem Land hauptberuflich machen, wenn es sie denn überhaupt gibt! Der durchschnittliche Autofahrer außerhalb der großen Städte fühlt sich allein auf der Straße (was er meist ja auch ist), die Interaktion mit anderen überfordert ihn oft. Vorausschauendes Fahren gibt es kaum, der Blick in den Rückspiegel (so einer dranhängt) findet kaum mehr als einmal wöchentlich statt. Auf unserer Strecke nach Lusaka sehen wir alle 50km einen schweren Unfall.
Die Fahrbahnränder
Viele Straßen haben keinen Seitenstreifen, die Fahrbahn endet mit einer ausgefransten, 10-15cm hohen Kante. Sollte man über die Kante geraten, gibt es meist einen abfallenden Sand-/Steinstreifen, der abruptes Gegenlenken bei höherer Geschwindigkeit mit einem Ausbrechen des Hecks beantwortet. Während wir das mit unserem Fahrwerk, etwas Glück und ein wenig sanfter Lenkrad-Akrobatik wahrscheinlich meistern könnten, ist es für „normale“ PKW und vor allem LKW kaum zu schaffen. Entsprechend viele schwere LKW-Unfälle passieren. Wir fahren an zwei vollkommen demolierten und auf dem Dach liegenden LKWs vorbei, die sich in den angrenzenden Wald überschlagen und ihre Ladung dabei verloren haben. Es ist kein Wunder, dass Busse und LKW daher eine Tendenz zum Mittelstreifen (und darüber hinaus haben), sodass es für uns hie und da ein wenig eng wird.
Andere Benutzer der Fahrbahn
Alles, wirklich alles, was 2-4 Beine hat (und vielleicht auch der eine oder andere 8-Beiner oder Tausendfüßer) benutzt die Straße. Fahrradfahrer kommen auf beiden Seiten entgegen. Links, damit sie den Gegenverkehr sehen, sie wechseln dann auf die rechte Seite, was problematisch wird, wenn auch dort ein Auto kommt.
Viele Fußgänger und Nutztiere sind ebenfalls auf der Straße unterwegs. Affen reagieren schnell und richtig, Hunde langsam und richtig, Menschen langsam und meist richtig, Ziegen schnell und manchmal richtig, Kühe sehr langsam und manchmal richtig und Esel gar nicht. Elefanten auch nicht, müssen sie aber auch nicht wirklich…
Wir kennen Zambia seit Jahren uns stellen uns daher darauf ein, dass auch eine Asphalt-Etappe kein entspannendes Dahin-Cruisen ermöglich, freuen uns aber immer, abseits der Nationalparks auch das „echte“ Zambia zu sehen, bekommt man doch einen guten Eindruck, wo das Land derzeit steht und wie es sich seit unserem letzten Besuch entwickelt hat.
Je näher wir Lusaka kommen, desto auffälliger wird, dass die am Land sonst vorherrschende Subsistenz-Landwirtschaft größeren Feldern Platz macht, Landmaschinen ersetzen Spitzhacke und von Ochsen gezogene Pflüge. Wir sehen Bewässerungsanlagen, Abstellplätze für Landmaschinen (mit Solardächern!) und immer mehr Schilder der großen Saatgut-Konzerne („SeedCo“, „Afriseed“, „Synergy“ und „Pioneer“). Verarbeitungs-Betriebe säumen zunehmend den Weg, die meisten werden offenbar in Form einer landwirtschaftlichen Kooperative betrieben, sodass wir hoffen, dass die Bevölkerung hier noch einen fairen Anteil an dem Ertrag der Ernte bekommt und nicht im (bescheidenen) Lohn einer indischen oder chinesischen Firma steht.
Etwa 50 Kilometer vor Lusaka beginnen die Vororte und der Verkehr wird merklich dichter. Die für Afrika typischen Sammeltaxis prägen das Bild, Toyota-Kleinbusse, die bis unters Dach mit Menschen und am Dach mit deren abenteuerlichen Habseligkeiten gefüllt sind. Je mehr auf und unter dem Dach, desto mehr verdient die Crew, und so schreit der Beifahrer unter lautem Hupen bei jeder Siedlung das Ziel des Gefährts hinaus, wenn ein mutiger neuer Fahrgast ausgespäht wird, kommt es nicht selten zur – für den nachfolgenden Verkehr unerwarteten – Vollbremsung. Der Gast wird ins Fahrzeug gepresst, etwaiges Gepäck auf das Dach gepackt und weiter geht’s mit Vollgas und unter Ausstoß einer schwarzen Wolke aus dem Auspuff, schließlich will man vor der Konkurrenz bei den nächsten Fahrgästen sein. Gemessen an den am häufigsten auf den Sammeltaxis aufgeklebten Portraits vertraut die Crew dabei in erster Linie den drei Herren Jesus (Christus), Che (Guevara) und Muammar (al-Gaddafi). Jedenfalls mehr als dem Rückspiegel…. Luna hupt daher so oft wie noch nie auf dieser Reise, auch unsere Laser-Lights haben wir von ihren Abdeckungen befreit, um uns auch optisch besser bemerkbar zu machen.
Das „Abenteuer Landstraße“ ist dann natürlich auch zu bezahlen. Teerstraßen in Zambia haben nach einem unerklärlichen Muster Mautstationen, bei denen für einen PKW ein schrumpelig, speckiger 20-Kwacha-Lappen (EUR 0,74) den Besitzer wechselt. Der fröhlich grinsenden Mautbeamte gibt unser Kennzeichen ein und verpasst unserer Straßensteuer-Bescheinigung einen weiteren Stempel, bevor er den Zahlungsbeleg anheftet. Das Prozedere kann schon mal eine Minute dauern (deutlich mehr, wenn die Papierrolle im Belegdrucker noch zu wechseln und nicht gleich zur Hand ist) und führt in der Nähe Lusakas durchaus hie und da zu Staus.
Es beginnt stark zu regnen, Luna wird endlich geduscht. Die am Straßenrand verkauften Mangos, Avocados, Tomaten auch – sie schauen jetzt noch appetitlicher aus als sonst schon! Ein ganzer Hühnerstall wird am Moped transportiert, die gackernden Insassen haben – selbst, wenn sie die Fahrt heil überstehen – wohl ein zumindest ungewisses Schicksal. Ziegen und Rinder scheinen einen Sensor zu haben, immer dann mit der Querung der Straße zu starten, wenn wir ca. 25 Meter entfernt sind. Eine Vollbremsung für die weiße Kuh mit dem Brandzeichen Nr. 90 ermöglicht ihr das Überleben, gelassen trottet sie weiter.
Polizei-Checks sind kurz, die übliche Frage „from where?“ und „to where?“ wird gelegentlich – wenn wir grad aus einem Nationalpark kommen – ergänzt durch „do you have any bush-meat?“, worauf wir selbstverständlich heftig den Kopf schütteln. Irgendwie würde es uns schon reizen, einmal mit „yes, sure“ zu antworten. Ich würde mir die Anschluss-Frage „can we have some?“ erwarten. Insgesamt ist die Polizei harmlos oder wir haben Glück – eine (vollkommen berechtigte) Radarstrafe über ca. EUR 15,- für zu hohe Geschwindigkeit ist die einzige Zusatzmaut, die wir bis jetzt bezahlen müssen. Griechische Nachbarn auf einem Campsite berichten hingegen von drei Strafen an einem Tag, bei einer wurde ihnen USD 100,- abgeknöpft, bei der dritten fuhr ihnen ein Lastwagen in die Hintertür, als sie gerade angehalten wurden. Andere zahlten bei der gleichen Kontrolle USD 300,-.
Nicht nur die Landwirtschaft weist in der Nähe der Stadt größere, organisierte Strukturen auf, auch die Ziegelbrennereien nehmen an Häufigkeit und vor allem an Größe zu. Die Betriebe bieten ihre verschieden geformten Produkte auf großformatigen Werbetafeln professionell an und sorgen damit bei uns durchaus immer wieder für Unterhaltung. Lediglich zum Dachziegel reicht es noch nicht, die Dächer sind üblicherweise noch immer aus Stroh oder Wellblech. Es wird insgesamt sehr viel gebaut, Lusaka und die Vororte scheinen sich ziemlich auszudehnen und der Bedarf an Ziegeln und Pflastersteinen dürfte entsprechend groß sein.
Lusaka erreichen wir im Regen, die Lacken stehen ziemlich hoch auf den meisten Plätzen und Einfahrten, viele Einheimische tragen Gummistiefel – offenbar regnet es hier öfter. Alle nicht geteerten Straßen haben sich in Schlammpisten verwandelt, die vom Regen gewaschene Luna erhält eine von unten nach oben verlaufende rötlich Tönung.
Wir beschließen, die Zeit zu nützen, um uns eine Langzeit-Abstellmöglichkeit für Luna anzusehen. Der Platz sagt uns sofort zu, die Hallen sind zwar halb offen, schützen aber sehr gut vor Regen, und als Wächter gibt es eine Katze, die den Bestand an Ratten und anderer für Autos potenziell schädlicher Kleintiere in Zaum halten soll. Sie begrüßt uns begeistert als mögliche zukünftige Kunden. Wir fassen den Transfer auf einer unserer nächsten Reisen ins Auge, da Lusaka als Ausgangspunkt für künftige Reiserouten einfach viel besser liegt als Windhoek.
Knappe zwei Tage wollen wir uns in Lusaka gönnen, um uns in einem Hotel(bett) zu entspannen, den Pool zu genießen, zweimal ordentlich im Gym zu trainieren und die nötigen Besorgungen zu machen. Das Radisson Blue in der Great East Road bietet für uns alles, was wir dazu brauchen und auch noch einen großen, bewachten und nicht überdachten Parkplatz.
Bevor wir uns mit Luna zum Einkaufen trauen, muss sie wieder „Großstadt-tauglich“ werden und bekommt bei „Exclusive Carwash“ eine sorgfältige Handwäsche. Unter einem strahlend violett blühenden Jacaranda-Baum bemühen sich zwei Burschen zuerst mit dem von einem Dieselgenerator betriebenen Kärcher, den ärgsten Staub und Dreck der morastigen Seitenstraßen Lusakas von Luna abzuspülen. Danach kommt ein Handwaschgang mit dem Autoschaumbad, gefolgt von einer weiteren Kärcher-Runde und der händischen Trocknung. Eine dreiviertel Stunde dauert es, bis Luna wie neu aussieht. Die Kosten betragen 70 Kwacha (EUR 2,60). Wir sind vom Preis fast peinlich berührt, schließlich sind darin auch die Kosten für Miete, Wasser und Diesel enthalten. Wir geben den Burschen daher ordentlich Trinkgeld.
Unsere Einkäufe erledigen wir in Lusaka gerne im Manda Hills Shopping Center, das neben dem größten Shoprite Zambias auch einen „Game“ (bunte Mischung aus Baumarkt und Camping-Ausstatter) auch zahlreiche andere Geschäfte von Mode bis Elektronik bietet. Wir können unsere ganze Einkaufsliste abhaken und sind für die nächsten Tage wieder ordentlich gefüllt, lediglich Wasser in 5-Liter-Flaschen bekommen wir nicht und sämtliche Bankomaten spucken mir kein Geld aus. Beides erledigen wir am nächsten Tage bei der Puma-Tankstelle gegenüber vom Hotel, auch der „absa“-Bankomat dort spricht Mastercard und funktioniert. Das Manda Hills würde auch in eine europäische Großstadt passen – eine bunte Auswahl westlicher Marken, spürbares „Shopping-Fieber“ unter den Kunden (nur eben im afrikanischen Tempo, also in halber heimischer Geschwindigkeit). Wir fragen uns, was die Burschen vom Car-Wash hier für 70 Kwacha bekämen: Die gekauften Kekse, Datteln und Nüsse kosten je 99 Kwacha, der Moskito-Spray 75, ein Bier 60. Grundnahrungsmittel werden staatlich preiskontrolliert oder subventioniert, ein halbes Kilo Kartoffel kommt auf 20 Kwacha, ein Kilo Brot auf 40, Huhn für zwei auf 50. Der gesamte Einkauf im Shoprite (Nahrungsmittel für zwei Personen und fünf Tage) kommt auf 1.827 Kwacha (EUR 68) – dafür müssten die beiden Burschen 52 Autos waschen. Wenn man davon ausgeht, dass 50% Marge übrigbleiben und die Burschen in billigeren Läden einkaufen und einiges selbst anbauen, geht sich – mit Trinkgeldern – ein bescheidenes Überleben aus, sogar inklusive Miete für einen kleinen Wellblech-Verschlag irgendwo in der Vorstadt. An Dinge wie Urlaub, Ausgehen, Auto oder gar ein eigenes Haus ist dabei allerdings nicht zu denken….
Allein aus diesen Beispielen wird deutlich, dass sich die meisten Menschen hier zwar ein bescheidenes (Über-)Leben leisten können, der Luxus (Haus, Auto, Marken-Kleidung, Fernsehen, Ausgehen) aber zweifelsfrei einer nur sehr kleinen Schicht an (höheren) Angestellten und Unternehmern vorbehalten bleibt. Beispiele bieten die Konferenzen in unserem Hotel: neben verschiedenen Telekom-Unternehmen tagt auch die Bankers Association. Die größte Konferenz ist jedoch eine von USAid gesponsorte Entwicklungshilfe-Tagung. Die meisten Teilnehmer der Veranstaltungen sind leicht erkennbar: Perfekt gestylte Ladies (Kostüm, perfekt geschminkt, High Heels) und Herren im schwarzen Maßanzug stellen ihre teuren Geländewagen ab und finden hurtigen Schrittes den Weg zur Bank-Veranstaltung. Die miesten Teilnehmer der Entwicklungshilfe-Konferenz bringen eher mehr auf die Waage und schleppen sich zuerst zum morgendlichen Buffet, bevor die anstrengenden Beratungen beginnen. Wir halten fest, dass westliche Entwicklungshilfe wohl zu einem ordentlichen Teil auch der lokalen Bürokratie dieser Organisationen bei deren persönlicher Entwicklung hilft…. Vielleicht sollte man eine Entwicklungshilfe-Konferenz mal in einer Dorfschule weit draußen am Land stattfinden lassen, um den Teilnehmern zu ermöglichen, ihr Gespür für die Realität aufzufrischen?
Etwas nachdenklich, aber gut erholt und trainiert klettern wir am nächsten Tag wieder in unsere Luna und pilotieren sie durch den dichten Stadtverkehr aus Lusaka hinaus. Wir mögen die Stadt und das geschäftige Treiben, freuen uns aber schon wieder sehr auf das einfache, ruhige Buschleben.
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